Worüber man in Fürstenfeld stolpert …

Zuerst ein paar Begriffsdefinitionen für unsere jüngeren Leser und die Nicht-Geschichts- und Kunst-Kundigen:

Das 3. Reich, also die Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit), begann in Deutschland am 30.1.1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, in Österreich am 13.3.1938 mit dem sogenannten Anschluss und endete am 8.5.1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht.

Die SS (Schutzstaffel) war die Eliteeinheit von Adolf Hitler, sowie das zentrale Instrument der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Sie organisierte ab 1941 die Deportation der europäischen Jüdinnen und Juden in besondere Vernichtungslager (Holocaust). Sie war außerdem zuständig für die Verfolgung und Ermordung von Sinti, Roma, Homosexuellen, behinderten und psychisch kranken Menschen.

Stolpersteine (Zitat aus https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine): Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das im Jahr 1992 begann. Mit, im Boden verlegten, kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die quadratischen Tafeln aus Messing mit abgerundeten Ecken und Kanten sind mit manuell mittels Hammer und Schlagbuchstaben eingefügten Lettern beschriftet. Sie werden von einem angegossenen Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 96 × 96 und einer Höhe von 100 Millimetern getragen. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer niveaugleich in das Pflaster bzw. den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen. Am 26. Mai 2023 verlegte Demnig in Nürnberg den 100.000. Stolperstein.

Beispielfoto eines Stolpersteins (aus der Internetseite der Katholischen Hochschulgemeinde Klagenfurt)

 

Was bisher bei uns in Fürstenfeld geschehen ist:

Im Dezember 2023 präsentierte der Fürstenfelder Historiker Otmar Brandweiner im Kulturausschuss des Gemeinderats sein Projekt, für die in der NS-Zeit deportierten und ermordeten Fürstenfelder Bürger Stolpersteine verlegen zu wollen. Das Projekt soll von Otmar Brandweiner mittels Sponsoren finanziert und abgewickelt werden. Die einzige Leistung, die die Stadtgemeinde zu erbringen hätte, wäre die Verlegung dieser Stolpersteine.

Nachdem Otmar Brandweiner bis März 2024 von seiten der Stadtgemeinde keine Reaktion vernimmt, fragt die Gemeinderätin Helga Kogelnik im Rahmen der Gemeinderatssitzung Bgm. Franz Jost, wie es denn mit der Anfrage von Otmar Brandweiner stehe.

Bgm. Jost stottert von der „einen oder anderen Sitzung“ herum, die es zur Anfrage von Otmar Brandweiner gegeben hätte und „dass sich er, Bgm. Jost, in dieser Periode (er meint damit wahrscheinlich die Amtszeit), also bis 2025, im weitesten Sinn damit nicht beschäftigen möchte“.

 

Die Mahnwache:

Gerald Guschlbauer von der Fürstenfelder Studentenverbindung „Riegersburg“ meldet sich in der Kleinen Zeitung vom 4.4.2024 zu Wort. Er begrüßt auch die Arbeit von Otmar Brandweiner und bekundet sein Unverständnis hinsichtlich des Verhaltens von Bgm. Jost, die Stolpersteine betreffend.

Gerald Guschlbauer lädt zu einer Mahnwache am 27.4.2024, 12 Uhr im Stadtpark in Fürstenfeld, an der wir auch alle Fürstenfelder aufrufen, möglichst zahlreich teilzunehmen.

 

Der Kommentar der BILF:

Die Reaktion von Bgm. Jost zum Vorschlag von Otmar Brandweiner kommt für uns nicht unverhofft und ist durchaus erklärbar.

Es gab und gibt in unserer Stadt zahlreiche Altnazis, also Personen, die bereits während der NS-Zeit Anhänger des Nationalsozialismus waren, führende Positionen im 3. Reich innehatten und nach 1945 ohne erkennbare Abkehr von der NS-Vergangenheit ihre Karrieren" fortsetzten. 

Zu erwähnen wäre Herbert Depisch, lt. Zeitzeugenberichten ein SS-Mann in leitender Position und Ehrenbürger von Fürstenfeld. Er hat sein Leben auch nach dem Ende des 2. Weltkriegs im Sinne der SS weitergeführt. Menschenwürde und -leben wurden dem Geld untergeordnet, Erfüllungsgehilfen fürstlich entlohnt.

Wer Genaueres wissen will, möge im Balkan-Blog den Bericht Das Österreichische Todesunternehmen DCM DECOmetal GmbH, des Konsul Herbert H. Depisch (siehe
https://balkan-spezial.blogspot.com/2011/07/das-osterreichische-todesunternehmen.html) durchlesen. Hier wird im Detail beschrieben, wie Depisch in „Zusammenarbeit" mit einigen korrupten Politikern eine Mine in Albanien betrieben hat, in der einige Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Depisch hat dies wahrscheinlich nur als unvermeidbaren „Kollateralschaden" betrachtet.

Jedenfalls wurde Depisch in Fürstenfeld schon seit langem bewundert und quasi denkmalgleich auf einen Sockel gestellt. Sehr viele haben seine großzügigen Geschenke entgegengenommen und ich weiß nicht, ob sich ein Einziger die Frage gestellt hat, wo und wie Depisch sein Geld verdient hat. Erst nach dessen Mehrere-Hundert-Millionen-Euro-Pleite sind gewisse Fragen aufgetaucht, aber gewiss nicht in der Stadtgemeinde Fürstenfeld.

Der Beschluss bezüglich der Ehrenbürgerschaft von Depisch wurde von den Stadtvätern Fürstenfelds garantiert nicht auf die nächste Amtszeit verschoben.

Das Gedenken an Depisch und dessen Verherrlichung des Nationalsozialismus ist in Stein gemeißelt und ist über seinen Tod hinaus nicht nur auf seinem Grabstein lesbar („Eisernes Kreuz I. und II. Klasse“; wer sich das ansehen will: 47°03´15.75“/16°04´14.98“), sondern wird anscheinend auch von gewissen Verantwortungsträgern der Stadt weitergelebt. Da sind Stolpersteine für Juden in Fürstenfeld natürlich ein absolutes No-go.

Wir leben in einer Zeit, in der die Anzahl faschistischer, nationalistischer und totalitärer Regime, wie das 3. Reich eines war, weltweit zunimmt. Verbot von Meinungs- und Pressefreiheit, Gewalt und Krieg sind die Methoden solcher Regierungen. Die Leidtragenden sind meist wehrlose Menschen, wie Frauen, Kinder und alte Leute. Es werden künstlich Feindbilder erzeugt, wie z.B. im 3. Reich die Juden, Roma, ..., denen man dann die Schuld an Missständen zuweist, die diese Regierungen selbst verursachen.

Damit solche Regime funktionieren, müssen vorerst bestehende Demokratien abgeschafft werden. Eine Demokratie ist nichts Selbstverständliches oder Dauerhaftes und man muss ständig an ihr arbeiten. Ein wichtiger Teil dieser Arbeit ist die Information und Bildung der Bevölkerung und vor allem der Jugend. Das 3. Reich liegt bei uns in Österreich beinahe 80 Jahre zurück und es sind fast alle Zeitzeugen verstorben. Deswegen ist eine wirksame Erinnerungskultur unerlässlich und dazu gehören eben auch Maßnahmen wie Stolpersteine, Mahnwachen und Denkmäler – diese jedoch auf jeden Fall im öffentlichen Raum und an zentraler Stelle (Grazer Platz, Augustinerplatz oder Hauptplatz).

Ob da einem Bürgermeister etwas in den Kram passt oder nicht ist unerheblich. Dass sich in so einem Fall nicht umgehend einige Gemeinderäte einschalten, ist äußerst bedenklich und man stellt sich die Frage, wie stehen diese zu den Gräueltaten des Nationalsozialismus?